KULTUR und  LEBEN
PLATTFORM ZUM WEITERDENKEN


Leben

Reden wir an dieser Stelle ein wenig über das Leben, über unsere Gesellschaft und Zukunft, über drei grundsätzliche Fragen, die wir uns stellen müssen: Ist alles tatsächlich so wie es auf den ersten Blick scheint? Was könnte sich aus dem, was heute bereits rund um uns erkennbar ist, entwickeln, in unserem Leben bevorstehen? Wie kann ich, soll ich mein Leben gestalten? Hier finden sich Denkanstöße, keine Lehrmeinungen, keine Feststellungen aus Expertenwissen heraus, sondern ganz einfach Beiträge, die zum Nach- und Weiterdenken anregen sollen.


16.08.2022

Dilemma der Wirklichkeit

Ein Blick zum nächtlichen Sternenhimmel genügt, um uns vor Augen zu führen: Die Wirklichkeit ist nicht so, wie wir sie sehen – denn viele Sterne, die da leuchten, sind tatsächlich bereits vor Millionen von Lichtjahren verglüht. Kann es also überhaupt eine, gleichsam allgemein gültige, Wirklichkeit geben? Die Antwort hat der österreichische Kommunikationspsychologe Paul Watzlawick schon vor Jahren gegeben: „Es gibt eben keine absolute Wirklichkeit, sondern nur subjektive Wirklichkeitsauffassungen, von denen angenommen wird, dass sie der wirklichen Wirklichkeit entsprechen.“
 
Manche suchen ihre Wirklichkeit in der virtuellen Welt, andere in Drogen – mit dem dadurch erweiterten Bewusstsein, wieder andere wollen im Alkohol ihre Wirklichkeit vergessen oder verschönern. Der Alzheimer-Kranke lebt überhaupt in seiner Welt, hat also eine ganz spezifische Wirklichkeit. Und gar nicht wenige Menschen zimmern sich ihre Wirklichkeit mithilfe ihrer Vorurteile zurecht – denn Vorurteile schränken so praktisch die Sicht ein, geben scheinbar Halt in der immer komplexer und schwieriger durchschaubaren Umgebung unseres Lebens.

Tatsächlich ist es so, dass wir die erlebte Wirklichkeit unmittelbar subjektiv nach den eigenen Erfahrungen, Wünschen, Vorstellungen bewerten. Man kann auch sagen: Wir ordnen sie in unser Leben ein. Pessimistisch lässt Thomas Bernhard in seinem „Heldenplatz“ den Professor Robert daher sagen: „Was die Schriftsteller schreiben, alles das ist nichts gegen die Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ist so schlimm, dass sie nicht beschrieben werden kann.“

Ich meine aber: Wir müssen optimistischer an die Frage „Was ist für mich wirklich?“, also – im Grunde genommen – an das eigene Lebenskonzept, herangehen. Zum Beispiel dadurch, dass wir immer wieder aus eingefahrenen Denk- und Erlebenswegen ausbrechen, sich von außen betrachten, Gewohntes in Frage stellen. Dieses Andersdenken, Wegdenken, Neudenken ist schon deshalb kein Fehler, weil nichts um uns unveränderlich ist – so wie übrigens auch der eingangs erwähnte Sternenhimmel: Kaum nimmt man ein Geschehen wahr, stellt es sich doch im nächsten Augenblick ohnehin schon wieder verändert dar.

Das heißt in der Schlussfolgerung: Die eigene Initiative ist gefordert, unsere Wirklichkeit laufend durch das Zulassen von Informationen und Wahrnehmungen zu korrigieren, zu adaptieren und zu optimieren. Also, wie es der römische Philosoph Seneca formulierte: „Das Leben ist eine Reise, bei deren Fortgang wir beständig unsere Szenen ändern.“

gerfri - 00:57 @ Allgemein | Kommentar hinzufügen