KULTUR und  LEBEN
PLATTFORM ZUM WEITERDENKEN


Leben

Reden wir an dieser Stelle ein wenig über das Leben, über unsere Gesellschaft und Zukunft, über drei grundsätzliche Fragen, die wir uns stellen müssen: Ist alles tatsächlich so wie es auf den ersten Blick scheint? Was könnte sich aus dem, was heute bereits rund um uns erkennbar ist, entwickeln, in unserem Leben bevorstehen? Wie kann ich, soll ich mein Leben gestalten? Hier finden sich Denkanstöße, keine Lehrmeinungen, keine Feststellungen aus Expertenwissen heraus, sondern ganz einfach Beiträge, die zum Nach- und Weiterdenken anregen sollen.


26.04.2021

Achtsamkeit und Neuorientierung

Nähern wir uns dieser hässlichen Pandemie mit ihren Lockdowns, gefährlichen Viren und noch gefährlicheren Virus-Mutationen einmal von einer ganz anderen Seite. Nämlich von einer durchaus positiven, zumindest konstruktiven Betrachtungsweise.

Man kann ja bejammern, dass wir nun seit 14 Monaten mit dieser Bedrohung für unser Leben leben, dass dieses Virus immer wieder mutiert und gefährlicher wird, dass die Impfungen mangels Material nicht so schnell vorankommen wie gewünscht und obendrein keinen hundertprozentigen Schutz bieten, dass es ein paar Tausend Dummköpfe gibt, dass Politik und Wissenschaft uns keine endgültigen Perspektiven bieten können… Ist ja gut. Aber wem ist es nicht auch so gegangen, dass er/sie Vieles in diesen Monaten gelernt hat anders zu sehen?

Daher will ich nicht der x-mal verheißenen „neue Normalität“ das Wort reden, sondern der „neuen Achtsamkeit“, die uns möglich gemacht wurde – auch wenn sie bei Vielen noch nicht bewusst angekommen ist. Denn auf einmal sind nicht nur bis vor eineinviertel Jahren selbstverständliche Routinen des Alltags über den Haufen geworfen, lernt man – nein: soll man lernen –, Dinge zu schätzen, die noch Anfang 2020 unbeachtet geblieben waren.

Wir sind plötzlich und mittlerweile wiederholt zurückgeworfen worden in eine Situation, die es uns nicht erlaubt, das zu tun, was wir wollen. Die Freiheit, die wir bis ins vergangene Jahr als selbstverständlich erlebt hatten, ist auf einmal nicht mehr das, was sie war. Na schön, die Maske – man hat sich daran gewöhnt (bis auf ein paar querdenkende Aluhüte). Aber das spontane Reingehen in ein Lokal, der schnelle Einkauf im Baumarkt, das Zusammensein mit Freunden, mit Enkeln, Tanten oder Großeltern, der Besuch im Kino oder Theater – sie wurden plötzlich nicht mehr etwas Alltägliches, sie wurden zum Außergewöhnlichen, Unerlaubten. Und dazu das bei Vielen ständig vorhandene indifferente Gefühl einer Sorge vor Infizierung.

Haben wir dadurch gelernt, Alltägliches, den Komfort unserer Gesellschaft zu schätzen? Hoffentlich. Obwohl: Ich hätte dazu dieses gesundheits- und lebensbedrohende Virus nicht gebraucht. Die Urlaubsreise, der Wochenend-Städtetrip – wenn ich im Fotoarchiv des Smartphones scrolle, kommt es mir manchmal vor als sehe ich Bilder, die gar nicht zu mir gehören. Die Ferne ist so fern.

Ja doch, es wird wieder anders werden. Wir Menschen verfügen über eine sensationelle Eigenschaft, die uns die Natur mitgegeben hat: Wir können uns an alle Umstände adaptieren – wenn wir nur wollen und nicht bloß die Umstände beklagen. Das ist der Schlüssel: Das Wollen.

Es wäre schön, wenn möglichst viele durch diese ewigen Virus-Lockdowns Gegangenen ab sofort achtsamer mit dem umgehen, was wir haben. Mit größerer Bereitschaft das schätzen, was Alltag war und – ja! - wieder werden soll. Wir sind draufgekommen, dass wir gar nicht so viel fürs Leben brauchen (darunter werden nicht nur Mode- und Schuhproduzenten leiden, zugegeben), dass wir viel gelernt haben (etwa die Generation 70plus was Internet-Chats, Zoom oder Skype betrifft), dass unsere Wirtschaft bemerkt hat, dass Vieles auch im Homeoffice erledigt werden kann und dass Manager dank der Videokonferenzen viel Zeit und Geld sparen können (wenn sie nicht in der Welt herumfliegen).

Wenn wir achtsamer mit dem umgehen, was uns umgibt, das betrachten, was unser Leben wirklich ausmacht, und das akzeptieren, was unser Können und Wollen ist – dann hat uns diese so unvermittelt über uns hereingebrochene Seuche das gebracht, was jede Gesellschaft, jeder Mensch immer wieder notwendig hat: eine Neuorientierung. Und das ist, meine ich, etwas durchaus Konstruktives, Positives.

gerfri - 16:30 @