KULTUR und  LEBEN
PLATTFORM ZUM WEITERDENKEN


Gedankenforum

KULTURundLEBEN will eine Plattform sein, die zu Gedanken anregt. Hier ist der Platz dafür weiterzudenken, hier gibt es Zitate, die mir wertvoll erscheinen. Hier sollen meine kurzen Glossen Denkanstöße geben. Aber es sind auch kurze Beiträge erwünscht, die ich, wenn sie in das Spektrum dieser Seiten passen, gerne veröffentliche. 

 

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10.12.2020

Sören Kirkegaard: Lebensfragment

Das Individuum wählt sich selbst als eine mannigfach bestimmte Konkretion, und wählt sich daher nach seiner Kontinuität. Diese Konkretion ist die Wirklichkeit des Individuums; aber da er sie nach seiner Freiheit wählt, so kann man auch sagen, dass sie seine Möglichkeit ist, oder, um nicht einen so ästhetischen Ausdruck zu gebrauchen, dass sie seine Aufgabe ist.
Wer ästhetisch lebt, sieht nämlich überall nur Möglichkeiten, diese machen für ihn den Inhalt der zukünftigen Zeit aus, während derjenige Mensch, der ethisch lebt, überall Aufgaben sieht. Diese seine wirkliche Konkretion sieht das Individuum also als seine Aufgabe, als seinen Zweck, als sein Ziel an.
Wenn aber vom Individuum gesagt wird, dass es seine Möglichkeit als seine Aufgabe ansieht, dann drückt das gerade seine Souveränität über sich selber aus, die er niemals aufgibt, wenn er sich anderseits auch nicht gerade in der höchst ungenierten Souveränität gefasst, die ein König ohne Land immer hat. Das gibt dem ethischen Individuum eine Sicherheit, die dem, der nur ästhetisch lebt, ganz und gar fehlt. Wer ästhetisch lebt, erwartet alles von außen her. Daher die krankhafte Angst, mit welcher viele Menschen davon sprechen, es sei so schrecklich, wenn man nicht seinen Platz in der Welt gefunden habe. Wer will's leugnen, dass es gar schön ist, wenn man da wirklich einen glücklichen Griff getan hat; aber eine solche Angst deutet immer darauf hin, dass das Individuum alles vom Platze, nichts von sich selber erwartet. Auch wer ethisch lebt, wird suchen, dass er seinen Platz richtig wähle; merkt er indessen, dass er sich geirrt hat, oder dass sich Hindernisse erheben, die nicht in seiner Macht stehen, so verliert er den Mut nicht; denn die Souveränität über sich selber gibt er nicht auf. Er sieht daher sofort seine Aufgabe, und handelt augenblicklich.



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