KULTUR und  LEBEN
PLATTFORM ZUM WEITERDENKEN


Leben

Reden wir an dieser Stelle ein wenig über das Leben, über unsere Gesellschaft und Zukunft, über drei grundsätzliche Fragen, die wir uns stellen müssen: Ist alles tatsächlich so wie es auf den ersten Blick scheint? Was könnte sich aus dem, was heute bereits rund um uns erkennbar ist, entwickeln, in unserem Leben bevorstehen? Wie kann ich, soll ich mein Leben gestalten? Hier finden sich Denkanstöße, keine Lehrmeinungen, keine Feststellungen aus Expertenwissen heraus, sondern ganz einfach Beiträge, die zum Nach- und Weiterdenken anregen sollen.


26.07.2020

Ohne Vorurteile

Etliche LeserInnen meines Blogs kennen mich bereits aus meinem „Vorgängerblog“ Capa-kaum. Und fragen mich hin und wieder, weshalb es jenen Blog nicht mehr gibt – daher eine Information dazu: Im 10. Jahr der Capa-kaum-Blog-Seite wurde sie Opfer eines umfangreichen Hacker-Angriffs und damit völlig zerstört. Da ich kein Interesse daran hatte, mich durch Bitcoin-Zahlungen freizukaufen, habe ich zu Jahresanfang die kulturundleben-Seite begonnen. Für alle jene, die mit dem Begriff „Capa-kaum“ nichts anfangen können bei dieser Gelegenheit eine kurze Aufklärung.

Mit der Kunstfigur Capa-kaum, die der österreichische Schriftsteller, Wissenschaftler und Politiker Joseph von Sonnenfels 1765 in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift „Mann ohne Vorteil“ erfunden hatte, konnte er die Zustände der Gesellschaft, also eigentlich der adeligen Gesellschaft, gefahrloser satirisch anprangern. Capa-kaum ging als Fremdling unvoreingenommen an seine Beobachtungen heran, ohne Vorurteile.
Übrigens täte das heute Vielen gut, vorurteilsfrei an die Informationsflut heranzugehen. Denn gerade heute, in der Ära der globalen Information, der Medienverwirrung, des Politikersprechs und der Fake News geht es Tag für Tag darum: Ohne Vorurteile die Informationen prüfen, die über Fernsehen, Zeitungen, Facebook oder Twitter ins Haus und aufs Smartphone geliefert werden.

Denn: Informationen, die mit unseren Vorurteilen Hand in Hand gehen, werden viel leichter wahrgenommen. Bei widersprechenden Informationen neigen wir dazu, sie vorurteilsgerecht hinzubiegen. Doch nicht nur die Wahrnehmung ändert sich durch Vorurteile, sie prägen auch unser Verhalten. Wenn sich Vorurteile erst mal etabliert haben, sind sie nur schwer wieder loszuwerden. So werden Informationen, die nicht zu einem für uns gewohnten Stereotyp passen, kurzerhand ausgelagert und in der Schublade der Vorurteile aufbewahrt.

Dabei sind Vorurteile durchaus abhängig von der Gesellschaft und unterliegen Trends. So, wie Models seit den 1950er Jahren bis vor kurzem kontinuierlich dünner wurden, wuchs die Benachteiligung dicker Menschen. Früher war das Gegenteil der Fall. Reiche Menschen waren dick – und das erschien den meisten positiv.

Jedenfalls entscheiden wir in Bruchteilen von Sekunden, ob jemand vertrauenswürdig, intelligent oder kriminell aussieht. Der optische Eindruck ist es, der uns die erste Information über den anderen liefert. Denn wir versuchen, unser Leben durch möglichst wenig Denkarbeit zu erleichtern. Dafür teilen wir die Welt in möglichst einfache Kategorien ein. In Alt und Jung, männlich und weiblich, schwarz und weiß, dick und dünn – um nur die offensichtlichsten zu nennen. Auf diese Weise filtern wir die Flut an Informationen und teilen sie in kleine Kategorien ein. Aber: Je größer wir solch eine Kategorie unbewusst einteilen – etwa: bärtige arabische Ausländer, blonde junge Frauen, smarte Krawattenträger -, desto mehr individuelle Informationen gehen dabei verloren. Das verführt zu Verallgemeinerungen. Und die Vorurteile bestimmen unser Tun und Handeln mehr als wir es uns eingestehen. Dagegen gilt es tagtäglich anzukämpfen.

gerfri - 15:06 @